Jürgen Weichardt 11.9.2014 

Eröffnungsrede zur Ausstellung „Kontemplation“ von Susanne Barelmann.

Susanne Barelmann

Als vierter Redner möchte ich Ihnen das Zuhören nicht so schwer machen: Die biografischen Angaben zur Künstlerin Susanne Barelmann konzentriere ich auf das, was Sie ohnehin schon vermuten: Sie ist eine Oldenburger Künstlerin, hatte Fotografie studiert, ist Mitglied des bbk und hat an zahlreichen Ausstellungen in der Stadt und in der Region teilgenommen.                                                               

Was sie hier in der VHS zeigt, ist nun allerdings etwas Neues und etwas Erstaunliches: Susanne Barelmann arbeitet mit der Fotografie und dem Mittel des Digitaldrucks und nutzt dieses Mittel in virtuoser Weise. Was sie fotografiert hat, ist schon ungewöhnlich, weil viele Ergebnisse vor allem der Wald- und Naturmotivik einen herausragenden Schwerpunkt vermissen lassen, stattdessen das Durcheinander frei wachsender Naturformen zeigen. - keine gelungene schöne Ansicht von einem Ort oder einem Körper, selbst wenn einzelne Detailmotive in dieser Ausstellung solche Ansichten erkennen lassen.

Mit der Fotografie beginnen die Schwierigkeiten; denn sie wird gespiegelt. Ist das nun die halbe Fotografie, die gespiegelt wird, oder die ganze? Das ist freilich nicht erheblich. Was dabei heraus kommt, ist für das nun erweiterte Blatt eine grundlegend neue Komposition. Der erste Eindruck ist verführerisch: Aus dem Chaos der Natur, des Waldbodens, der Felsenhänge oder gebrochener Steinflächen wird eine Symmetrie der Harmonie mit einem Motiv im Mittelpunkt, das vielfältig und lebhaft erscheint, aber offen ist für viele Interpretationen.                             Susanne Barelmann hat diese Methode vom Rorschach-Text übernommen – der Test arbeitet mit Bildern, die aus der Faltung  mehrererTintenkleckse entstanden sind: Diese Kleckse sind abstrakt und werden durch die Faltung des Papiers gleichzeitig verdoppelt und gespiegelt. Die Abstraktion wird nicht aufgehoben. Das Ergebnis dient  - das ist der Test – Psychiater zur Analyse der Denkfähigkeit, Ausdrucksweise und Fantasie einer Person. Susanne Barelmann hat – wie gesagt – diese Methode der Faltung bzw. der Spiegelung für ihre Bilder übernommen, aber keine Angst, sie will uns nicht testen und analysieren. Doch kann sich jeder vor ihren Bildern selbst prüfen, und das ist das Reizvolle an diesen Arbeiten.                         Als Aufforderung dient die Umkehrung des beliebten Familienspiels „Ich sehe was, das du nicht siehst.“ – Bei Susanne Barelmann heißt es „Du siehst etwas, was ich nicht sehe“. Das ist der Schrecken aller Unfall- Ermittler, da sie es dann mit einem Dutzend unterschiedlicher Aussagen zu tun haben. Aber hier geht es um Bilder, und jeder kann seine Fantasie spielen lassen und aus der zusammengesetzten Mitte eines Digitaldruckes von Susanne Barelmann eine Form, einen Gegenstand, eine Figur erschließen. Weil die Fantasie eigentlich eines der höchsten privaten Eigentums- Relikte ist, kann jeder auch seine eigene Deutung haben, also sehen, was kein anderer sehen kann oder sehen will.

Obwohl die Bilder von Susanne Barelmann – das sollten wir immer berücksichtigen – im Detail auf der Realität beruhen, ergeben sich schon bei der Doppelung, etwa bei einer Doppelbelichtung oder bei digitaler Überlagerung einer Vorlage mit einem zweiten Motiv inhaltliche Rätsel. Diese werden vermehrt und intensiviert durch die scheinbare Faltung des Motivs. Dadurch entstehen immer mehr Möglichkeiten einer individuellen Auslegung des endlichen Bildes. Das ist keineswegs ungewöhnlich. Jede Malerin und jeder Maler, die sich von der reinen Reproduktion der Realität lösen, also etwa von der Postkarte mit dem Bild der VHS, müssen damit rechnen, dass die Betrachter Unterschiedliches sehen. Aber Susanne Barelmann hat es darauf angelegt, dass jeder Betrachter in ihren Digitaldrucken etwas anderes sieht als sie selbst. Der Titel räumt nicht nur die Möglichkeit des Sehens von etwas anderem ein, sondern gibt der Fantasie freien Lauf. Die Künstlerin wäre vielleicht sogar unangenehm berührt, würde jemand erraten, was sie in einem Digitaldruck am Ende selbst gesehen hat.

Die Fotografin wäre keine vollkommene Künstlerin, würde sie sich mit diesem Ergebnis zufrieden geben. Sie untersucht auch, ob der Fantasie Spielraum geben ist, wenn eigentlich ganz eindeutig ist, was auf dem Digitaldruck zu sehen ist – etwa zwei Hände und zwei Füße. Alle anderen Körperteile werden weggezaubert, ebenso das Ambiente, also vielleicht das Bett oder der Sand am Strand. Die Fragen, die sich jemand stellen könnte, wären: Kann ein Mensch Hände und Füße so halten, wie angezeigt, oder sind mehrere Momente digital miteinander verbunden oder sind zwei Menschen zu einem Gebärdenspiel kombiniert ? Aber das ist noch nicht der letzte Schritt: Die Künstlerin hebt auch den Abstand auf, der zwischen ihrer Person und den Betrachtern besteht – „Du sieht etwas, was ich nicht sehe“ drückt diese Distanz aus, sie ist im Grunde unaufhebbar. Wenn aber das Bild die Künstlerin selbst zeigt, ist eine Annäherung vollzogen: Es gibt wenigstens zwei Versionen: In einer steht Susanne Barelmann im Bild und blickt zur Mitte, wird dann also gedoppelt. Das Gleiche passiert mit einer äußerst komplizierten Haltung, in der sie Arme und Beine ausgetauscht hat, ehe sie das Bild spiegelt. Kaum dass wir der Künstlerin hier näher gekommen sind, entzieht sie sich schon wieder der Kommunikation; denn der Titel dieses Selbstbildnisses rückt die Künstlerin offenbar wieder ganz weit weg: „What Susan didn’t know“.  Tatsächlich ist aber die gemeinsame Plattform nicht verlassen worden; denn wir armen Bildbetrachter wissen auch nicht, was Susanne nicht wusste. Unkenntnis ist allerdings keine sehr feste Bindung. Der Fingerzeig dieses Motivs ist deutlich: Nichts ist so, wie du es siehst; denn das, was sie mit sich selbst digital gemacht hat, kann sie mit allen anderen Dingen auch gemacht haben. Es gibt nun noch zwei andere Bildreihen in dieser Ausstellung: Die eine hat den Titel „Kontemplation oder Lauschen auf Gott“ und die andere hat den Titel: „Zusammen zum Mittelpunkt“. Beide sind auch in diesem Jahr entstanden. Bei der letzten Werkgruppe werden Haus und Hof, Auto und Natur miteinander nachvollziehbar kombiniert und gespiegelt. Das Miteinander könnte sich dabei auch auf Künstlerin und Betrachter beziehen und eine Fortsetzung des zuvor angedeuteten Spiels mit der Unwissenheit darstellen. Das „Zusammen“ bezieht sich wohl auf die Tatsache, dass am Inhalt der Fotografie wenig zu diskutieren ist, da sie ganz realistische Gegenstände zeigt. Diese werden aber zum Mittelpunkt durch Spiegelung verrätselt, und dort entstehen dann die individuellen Ansichten.                                                                       

Bleiben die beiden großen, aus der Vielzahl der Bilder herausragenden Digitaldrucke „Kontemplation oder Lauschen auf Gott I und II“. In ihnen wird nicht gespiegelt - und was passiert? Es herrscht Chaos, zusammengesetzt aus zahllosen Details unserer Welt. Rettet uns die Kontemplation vor diesem selbst angerichteten Durcheinander? Lauschen auf Gott ist eine Formulierung, die für manche Menschen Hoffnung enthält, aber die Distanz nirgends aufhebt. Ich lausche heißt noch nicht – ich höre und noch weniger – ich verstehe. Also bleibe ich dem Chaos ausgeliefert.                Das Chaos bedeutet auch Lärm. Das Bild gibt optisch wieder, was jeden Tag auf unseren Straßen akustisch geschieht – etwa die Gleichzeitigkeit aller Handy-Gespräche – nun wollen wir nicht übertreiben – also nur auf der Langen Straße um 18 Uhr. Ob das Lauschen in diesem Lärm Erfolg hat, ist wiederum eine persönliche oder eine institutionelle Entscheidung. Aber neu ist jedenfalls: Susanne Barelmann deutet in diesen Chaos- Bildern an, dass es nicht nur um das Sehen geht, das die Fantasie weckt und das Vorhandene, eben das Sichtbare, individualisiert, weil jeder etwas anders sieht, sondern auch um das Hören und damit um alle Sinne.

Freilich gilt auch hier die psychologische Erfahrung, dass alles in den Köpfen der Menschen unterschiedlich abläuft, deren Sinne verschiedene Signale empfangen – und doch sitzen Sie, meine Damen und Herren hier alle brav und warten auf das Ende. Vielen Dank, dass Sie mir trotzdem zugehört haben.

 

Jürgen Weichardt 11.9.2014